INterozeption & Gefühle
- Christina

- 16. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
Yoga und die emotionale Ebene der innerne Wahrnehmung
Vor gar nicht allzu langer Zeit habe ich einen Blog-Beitrag zum Thema Interozeption geschrieben. Der Text sprudelte damals förmlich aus mir heraus – der Inhalt ergab sich ganz natürlich aus dem, was mich gerade beschäftigte, worüber ich las und nachdachte. Ich schrieb ihn schnell und drückte – ohne Zögern – auf „Veröffentlichen“.

Ich handelte rational, doch auf emotionaler Ebene spürte ich: In diesem Thema, in meinem Text, steckte noch viel mehr als das, was ich gerade aufgeschrieben hatte. Und ich spürte auch, dass es Zeit brauchte. Dass ich Zeit brauchte.
Also klappte ich den Rechner zu, packte meine sieben Sachen in unseren Bus und fuhr mit meinen Liebsten dem Sommer entgegen – so weit nach Westen wie möglich. Dorthin, wo das Ende der Welt mit Getöse in den Atlantik bricht. Wo alles stillsteht.Dorthin, wo Wind und Wellen den Takt vorgeben.
Es folgte eine Zeit der Ruhe – eine wirkliche Pause, im Außen und noch mehr im Innen. Eine Zeit, die ich fast ausschließlich draußen in der Natur verbrachte. Eine Zeit, in der die salzige Atlantikluft und der Rhythmus von Sonne und Mond mich durch Tage und Nächte begleiteten.
Aufstehen, wenn die Sonne mich weckt, wenn sie durch das Fenster mein Gesicht kitzelt. Schlafen gehen, wenn es dunkel und ungemütlich kalt wird, wenn das warme Bett ruft. Surfen, wenn die vom Mond gelenkten Wellen ruhig, aber voller Energie an den Strand rollen – und aufhören, wenn die eigene Kraft nicht mehr reicht. Essen, wenn der Körper Hunger hat. Spazieren gehen am endlosen Sandstrand, wenn er Bewegung braucht.
Zusammen sein – und auch allein. Nähe zulassen, ebenso wie Weite.Eine Zeit, in der alles durfte und nichts musste.
Und nach und nach fiel mir mein Text wieder ein. Die Gedanken, die ich mir zur Interozeption gemacht hatte, tauchten erneut auf. Während ich mich auf der alten Holzterrasse unter freiem Himmel meiner täglichen Yogapraxis hingab, konnte ich sie wahrnehmen, ihnen Raum geben und sie beobachten. Ich musste sie nicht festhalten, nicht aufschreiben – sie waren da, schon immer gewesen, und sie würden bleiben.
Zuhause las ich den Blog-Artikel noch einmal in Ruhe. Der Text war okay. Aber es fehlte etwas: die Tiefe, die Zwischentöne, die Facetten, die in hellblauen Farben am bretonischen Himmel aufgetaucht waren – kein Wort davon hatte ich erwähnt.
„Texte & Gedanken brauchen Zeit, müssen reifen.“
Ein Satz, den ich während meiner Promotion unzählige Male gehört, aber nie wirklich ernst genommen oder verstanden hatte. Jetzt spüre ich seinen wahren Kern. Genau so fühlte es sich in diesem Moment an: Der Text war okay, vielleicht sogar gut und informativ – aber eben nicht fertig. Noch nicht ausgereift.
Hatte ich die Verbindung zwischen Yoga und Interozeption wirklich nur bis zu dem Punkt gedacht, an dem die Hand in der Yogastunde den Kontakt zum Boden spürt?
War ich tatsächlich genau dort stehen geblieben, wo Körpersignale beginnen, sich in Gefühle zu verwandeln – und hatte mich mit der bloßen Nennung anatomisch relevanter Hirnregionen zufriedengegeben, ohne gedanklich weiterzugehen?
Facetten, die mir heute wesentlich erscheinen, hatte ich damals nur im Nebel erahnt, aber nicht fassen können. Nun aber – der Atlantikwind hat sein Bestes gegeben – hat sich dieser Nebel verzogen. Ich sehe klarer, was mir wichtig ist, wenn ich über Interozeption schreibe.
Also starte ich hier einen neuen – nein, vielmehr einen weiteren – Versuch, zu beschreiben, was Interozeption ist, was sie bedeutet und wie ich ihre Verbindung zum Yoga erlebe.
Die kurze Definition von Interozeption lautet: Sie ist das Fühlen des Körperinneren. „Intero“ steht für „innen“, „-zeption“ für „wahrnehmen“ oder „fühlen“. Interozeption ist somit das Gegenstück zur Exterozeption – also unseren „klassischen“ Sinnen, mit denen wir die Außenwelt wahrnehmen.
Reize, egal ob von außen oder innen, gelangen als Information ins Gehirn. Dort werden sie interpretiert – und manchmal in ein Gefühl übersetzt. Diese Gefühle können (wenn wir sie zulassen) integriert und schließlich in Verhalten überführt werden.
Die Interpretation und Integration von Gefühlen basiert auf unserem Wesen – unter Berücksichtigung unserer Erfahrungen, Prägungen (dazu später mehr!) und unserer individuellen Persönlichkeit.
Interozeption ist also eine – wenn auch nicht die einzige – Quelle unserer Entscheidungsfindung. Aus dem Bewusstsein über den Zustand unseres Körpers und der Interpretation dessen, was wir wahrnehmen, entstehen Gefühle. Und auf Grundlage dieser Gefühle treffen wir Entscheidungen, handeln – leben wir.
Hier ist er also, unser 6. Sinn.Er existiert wirklich. Kein Mythos, kein spiritueller Quatsch – sondern ein zentraler Akteur der modernen Neurowissenschaften: die Intuition, unser Bauchgefühl.
Nüchtern betrachtet passiert dabei Folgendes:Zellen in unseren Organen registrieren Reize – z. B. Druck, Temperatur oder pH-Wert – über spezialisierte Rezeptoren auf ihrer Oberfläche. Diese leiten die Information mithilfe von Botenstoffen (Transmittern) an eine Nervenzelle weiter. Diese erzeugt ein elektrisches Signal (Nervenimpuls), das über afferente Nervenbahnen (z. B. den Vagusnerv) durch das Rückenmark ins Gehirn geleitet und dort weiterverarbeitet wird.
So weit so gut. Mega gut, denn wenn wir hier weiter ins Detail gehen, können wir uns auch direkt eine Biochemie-Vorlesung an der Uni geben.
Landen wir dann aber mit den ganzen Signalen im Gehirn, dreht die Interozeption so richtig auf - klassisches interdiziplinares Feld also. Neben der Biochemie kommt nun die Neurologie und Anatomie ins Spiel und letztendlich die Psychologie.

Aber zurück zum Thema: Das Interpretieren von Körpersignalen lässt im Gehirn Gefühle entstehen.Doch was bedeutet es eigentlich, diese Gefühle zu integrieren?
Der Begriff Integration heißt ganz allgemein: verschiedene Teile zu einem Ganzen zusammenfügen – zu verbinden also.Und liegt nicht genau hier die Brücke – die Verbindung – zu dem, was Yoga im Kern ist, was Yoga kann?Sogar wortwörtlich bedeutet Yoga: anjochen – verbinden.
Gefühle zu integrieren bedeutet, einen Transformationsprozess in Gang zu setzen – und uns mit uns selbst, in unserer Ganzheit, zu verbinden.Eine Integration auf allen Ebenen:
Körperlich – Geistig – Emotional.
Bleiben wir heute mal bei der emotionalen Ebene. Ganz vereinfacht entstehen in uns zwei Arten von Gefühlen:die „guten“ – und die „schlechten“.
Ja, ich weiß: Schubladendenken at its best. Aber zur Vereinfachung dürfen wir es hier ruhig einmal so betrachten.
Die „guten“ Gefühle – nennen wir sie Liebe – sind in der Regel nicht das Problem. Ganz im Gegenteil.Die „schlechten“ – wie etwa Angst – machen uns oft zu schaffen.
Und dabei ist das Spannende: Aus ein und derselben Körperempfindung kann sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Gefühl entstehen.Der Unterschied? Der entsteht im Kopf – durch Interpretation und Integration.
Nehmen wir zum Beispiel Herzklopfen – ein klassisches interozeptives Signal, das über Mechanosensoren registriert und an den Vagusnerv weitergeleitet wird.Von dort gelangt es ins Gehirn und wird u. a. in der Insula und im Kortex verarbeitet.
Bis zu diesem Punkt ist der erhöhte Herzschlag nur ein Signal – neutral, ohne Bewertung.Nicht gut. Nicht schlecht. Einfach ein schneller schlagendes Herz.
Dann aber wird es spannend: Wie interpretieren wir dieses Signal?Welche Bedeutung geben wir dem Takt?
Vielleicht sehen wir jemanden, den wir sehr gern haben, lange nicht gesehen – ja, vermisst haben.Unser Herz hüpft vor Freude. Es schlägt schneller – und wir spüren es.Unsere Hand liegt auf dem Brustbein. Und da ist es: Glück. Liebe.
Oder: Wir stehen in einem engen, vollen Fahrstuhl.Das Licht flackert. Der Fahrstuhl ruckelt – und bleibt stehen.Es ist dunkel, stickig, eng. Unser Herz rast.Auch jetzt liegt eine Hand auf dem Brustbein. Und wir spüren: Angst.
Ein Signal – zwei Möglichkeiten.Je nach Situation, Erfahrung und Prägung interpretiere ich es unterschiedlich.
Das ist natürlich etwas vereinfacht dargestellt, aber im Grunde läuft es genau so ab.
Die interozeptive Interpretation ist also klar. Und nun? Was bedeutet die Integration eines Gefühls? Was zum Kuckuck…
Bleiben wir mal beim stärksten (und zugleich unangenehmsten) Gefühl: der Angst.
Was heißt es, die Angst zu integrieren – sie als Teil des Ganzen anzunehmen und damit zu transformieren?
Offensichtlich ist Integration das Gegenteil von Unterdrücken oder „weghaben wollen“.Leider ist genau das oft das Erste, was wir tun: Wir bewegen uns von unangenehmen Gefühlen, Gedanken, Menschen oder Situationen weg. Schieben sie beiseite, ignorieren sie.
Eine Strategie, die wir alle gut kennen – und die zunächst (also ganz, aber wirklich nur ganz kurzfristig) auch funktioniert.Langfristig aber leider nicht. Eigentlich gar nicht.
In Fachkreisen ist man sich ziemlich einig: Das Unterdrücken unangenehmer Gefühle verstärkt diese eher.In der Psychologie nennt man das emotionale Vermeidung. Denn selbst wenn wir ein Gefühl wegdrücken, bleibt die Interpretation unseres Gehirns: „Das ist bedrohlich.“
Und die Rückkopplung vom Gehirn in den Körper – Fight or Flight – bleibt ebenfalls bestehen.Ein Dauerfeuer für unser Nervensystem ohne Lösung – ein sicherer Weg in eine nervliche Dysbalance.
Aus-dem-Weg-gehen ist also keine echte Option – und genau das Gegenteil von Integration.
Integration bedeutet wohl vielmehr zulassen – eben auch dann, wenn es sich nicht gut oder sogar richtig beschissen anfühlt. So wie die Angst.
Gefühle kommen an die Oberfläche, wenn sie gefühlt werden wollen – und da haben wir tatsächlich ziemlich wenig Mitspracherecht. Das anzuerkennen, ist ein erster wichtiger Schritt.
Es bedeutet aber nicht, sich mitziehen zu lassen, sich dem Strudel der Angst völlig hinzugeben und in dunkle Tiefen abzutauchen – zum Beispiel im Fahrstuhl.
Die Angst darf da sein. Das Herzklopfen, das im Gehirn mit der aktuellen Situation abgeglichen wird und dann eben in Angst endet, ist da – und das darf es auch, gerade wenn wir uns in einer bedrohlichen Lage befinden.
Das Gefühl der Angst ist biologisch gesehen eine hochentwickelte und ziemlich gut funktionierende Schutzfunktion für uns und unseren Körper.Angst schärft die Sinne, versetzt die Muskeln in Bereitschaft und sorgt dafür, dass wir uns verteidigen oder fliehen können.
Im Fall eines heranrasenden Autos am Zebrastreifen hilft sie ungemein.
Integration heißt also zuerst einmal: Das Gefühl darf da sein, wir geben ihm Raum – und verstehen, dass es nichts per se Schlechtes ist, sondern eine körperliche Reaktion auf unsere Umwelt, die wir wahrnehmen, ohne das Gefühl selbst zu bewerten.
Das sind auch gleich die ersten zwei Möglichkeiten, Gefühle zu integrieren: Erstens Raum geben und zweitens nicht bewerten bzw. nicht urteilen.
Die dritte folgt: die Rückkopplung in den Körper.
Jetzt, wo das Gefühl da ist, ist es wichtig, das Signal wieder zurückzusenden und genau zu spüren, wo im Körper ich es wahrnehmen kann.
War am Anfang vielleicht das Herzklopfen spürbar, kann sich das Gefühl nun als Druck auf dem Brustbein oder feuchte Hände zeigen.
Dabei gilt: Nicht über den Körper nachdenken, sondern fühlen, mit dem Körper sein – das interozeptive Wahrnehmen schulen und in Kontakt treten mit dem eigenen Empfinden.
Interozeptives Wahrnehmen ist damit eine klassische Achtsamkeitsübung – ein Zurückziehen der äußeren Sinne (Pratyahara – die 5. Stufe nach Patanjali) und damit Yoga pur.
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Was schult die Interozeption?
Body Scan/Körperreise
Progressive Muskelentspannung
Yin Yoga
Atemübungen
Yoga Nidra
Alle Meditationstechniken (z.B. Atem als Anker, Metta Meditation)
Warum sollten wir der Interozeption mehr Raum geben, sie schulen und unseren 6. Sinn schärfen?
Für uns.
Damit unser Nervensystem ncoiht aus der Balance gerät. Damit wir gesund bleiben, mental und körperlich.
Für die Gesellschaft in der wir leben.
Interozeption schult Empathie und Mitgefühl. Wenn wir mit uns in Kontakt sind, unsere Gefühle wahrnhemen und verstehen, können wir das viel eher auch bei anderen. Wir sind dann viel eher in der Lage Freude oder Leid in unserem Gegenüber zu erkennen und dementsprechend zu handeln.
3.) Für die Erde auf der wir leben. Und wenn wi
Für die Erde auf der wir leben.
Wenn wir unseren Mitmenschen gegenüber in der Lage sind Mitgefühl zu zeigen, dann ist der nächste Schritt schon angelegt. Die Erde auf der wir leben, mit allen Lebewesen. Grenzenlos zwischen Menschen - Speziesübergreifend - allumfassend.


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